
Hinter einem kleinen Schaufenster mitten auf St. Pauli eröffnet sich Vorbeilaufenden eine fantastische Welt aus Transparenz und Farbe. Das Schmucklabel KITSCH KIOSK steht für handgeblasene Unikate aus Glas, die sich individuell kombinieren lassen. Mit dem Design Zentrum sprechen die Founder Lisa und Jonas darüber, wie Kiez-Scherben und Kunst zusammenpassen – und wie sie ihre Unterschiede als Stärke ihrer Marke ausspielen. Meet the Designers!
Es ist zugleich hart und weich, zugleich farbig und durchsichtig, zugleich synthetisch und organisch. Glas entwickelt ein Eigenleben, wenn es mit Feuer in Berührung kommt. Das hat Lisa gemerkt, als sie vor drei Jahren anfing, mit dem Material zu experimentieren. Oft weiß die Schmuckdesignerin im Vorhinein gar nicht, wie genau eine Kreation später aussehen soll. Das Design entsteht im Dialog.
Der Schmuck von KITSCH KIOSK hypnotisiert durch seine Mehrdimensionalität. "Kandy" heißen die Unikate aus Glas – wie bei der bunten Tüte vom Kiosk. Ist ein Stück fertig, landet es bei Lisas Partner Jonas. Der Art Director und gelernte Grafikdesigner kümmert sich darum, dass der Schmuck auch außerhalb der Flamme eine Sprache findet.
Gemeinsam haben sich die beiden Founder nun einen Ort geschaffen, der erneut durch Vielfalt punktet. Hinten Werkstatt, mittig Workspace, vorne Showroom. Im Herzen von St. Pauli treffen wir auf das Duo und sprechen über kreative Schaffensprozesse – und über Kitsch in düsteren Zeiten.


Jonas und Lisa, was bedeutet euch der Ort, an dem wir uns gerade befinden?
Jonas: Wir sitzen hier in unserem ersten eigenen Studio, im Herzen von St. Pauli. Hier haben wir endlich die Möglichkeit, unseren Schmuck mit einem Schaufenster nach außen zu präsentieren und hinten in der Werkstatt zu arbeiten.
Lisa: Es ist ein riesengroßer Traum, dass wir Werkstatt und Showroom in einem Space verbinden können. KITSCH KIOSK hat hier nochmal ein ganz anderes Gesicht, das wir Menschen zeigen können.
KITSCH KIOSK – woher kommt dieser Name?
L: Uns fasziniert der Begriff Kitsch, der der Avantgarde gegenübersteht und sich nicht ganz so ernst nimmt. Früher wurde Kitsch oft als geschmacklos abgetan, aber inzwischen hat er sich zu einem bewussten Stilmittel entwickelt. Für uns ist er ein Ausdruck von Emotion, Nostalgie und unserer eigenen Ästhetik. Und Kiosk haben wir als Verortung gewählt, wo jeder einfach willkommen ist und so sein kann, wie er ist.
J: In ihrer Haptik und Spiegelung erinnern unsere Glas-Schmuckstücke an Süßigkeiten aus der bunten Tüte im Kiosk.
Wie seid ihr dazu gekommen, Glasschmuck zu machen?
L: Angefangen hat alles mit Scherben auf der Straße. Wir wohnen auf St. Pauli, wo viel Glas rumliegt. Wir haben es gesammelt und das Material studiert. Die ersten Anhänger waren dann tatsächlich aus Scherben. Als das Material für uns seine Grenzen erreicht hat, haben wir uns nach und nach auch mit anderen Gläsern und Farben auseinandergesetzt – mit hartem Industrieglas und weichem Muranoglas.
J: Seit wir uns kennen, wussten wir, dass wir etwas Kreatives zusammen machen wollen. Als uns die Idee mit dem Glas kam, haben wir entschieden, unsere Kräfte aus Handwerk und Gestaltung zu etwas ganz Eigenem, Neuem zu fusionieren.
"Das Herz von Kitsch Kiosk ist, dass man sich mit unserem Schmuck ganz frei ausdrücken kann."
Für eure Arbeit mit Scherben habt ihr vor zwei Jahren unseren Silberstreifen Award für nachhaltiges Design bekommen. Was hat euch die Förderung ermöglicht?
L: Das war total toll, weil wir durch den Award unseren Schmuck ausstellen und unser Konzept schärfen konnten. Teile der Förderung sind in neues Equipment und Material geflossen. Wir konnten KITSCH KIOSK also nicht bloß zeigen, sondern auch wirklich als Brand wachsen.
Was zeichnet euch als Brand aus?
L: Das Herz von KITSCH KIOSK ist, dass man sich mit unserem Schmuck ganz frei nach außen ausdrücken kann. Es gibt leisere und lautere Pieces, du kannst sie an Creolen oder Ketten hängen und bist frei, dich so auszudrücken, wie du möchtest. Dich schlicht anziehen und trotzdem sehr laut sein. Mit diesen Werten fühlen wir uns auch hier im Stadtteil sehr wohl: Sei, wer du bist. Mach, was du möchtest.


Dass ihr euch ein Studio auf St. Pauli gesucht habt, ist also kein Zufall.
L: Dafür haben wir uns sehr bewusst entschieden. Es geht um Offenheit und Toleranz. Jeder ist gleich und gleichzeitig darf jeder sein, wie er oder sie möchte.
J: Visuell ist es natürlich auch spannend, unweit vom Kiez einen Ort zu schaffen, der sehr hell ist, sehr clean und aufgeräumt. Unser Studio irritiert schon ein wenig, wenn man die Straße entlangläuft. Das finden wir ganz schön.
Fühlt ihr euch als Designer*innen generell wohl in Hamburg?
L: Hamburg ist ein total guter Standort für uns, weil es uns hier sehr leicht gemacht wird, ein Netzwerk zu schaffen. Mein Eindruck ist, dass die Leute hier extrem offen sind und sich gegenseitig unterstützen.
J: Auch mit den Institutionen, die uns hier zur Verfügung stehen, haben wir als junges Unternehmen immer wieder Möglichkeiten für Support und Wachstum bekommen.

Eure beruflichen Backgrounds sind sehr verschieden. Wie ist eure Zusammenarbeit aufgeteilt?
L: Unsere Rollen sind sehr klar. Ich habe meine Hand auf der Schmuckgestaltung und -produktion. Jonas kümmert sich um alles, was passiert, sobald der Schmuck die Werkstatt verlässt – die Art Direction und Präsentation der Stücke.
J: In der visuellen Kommunikation versuche ich, die Schmuckstücke sprechen zu lassen und meine Arbeit runterzufahren. KITSCH KIOSK braucht zum Beispiel keine eigene Farbwelt, weil der Schmuck das selbst mitbringt. Ich arbeite mit viel Weißraum und mit einer Schrift, die sich sehr zurücknimmt. Lisas Schmuck liefert die organischen, komplexen, wilden Formen – meine grafische und geometrische Darstellung ist da ein ganz guter Gegenspieler.


Passt das auch zu euren Persönlichkeiten?
L: Wir ergänzen uns sehr gut. Ich denke ein bisschen freier, wilder und bunter. Jonas gibt mir eine klare Struktur und Ordnung.
J: Und ich profitiere von Lisas Feedback, weil sie mit einem ganz anderen Blick auf meine Gestaltung guckt.
L: Das Projekt KITSCH KIOSK geht gar nicht ohne einander. Wir besprechen und reden sehr, sehr viel.
Dann sehen eure Arbeitstage vermutlich sehr unterschiedlich aus.
L: Für mich beginnt jeder Tag direkt mit dem Highlight: Ich öffne meinen Ofen und schaue nach, was ich am Tag zuvor kreiert habe. Danach gehe ich an die Flamme und produziere neuen Schmuck. Der muss anschließend wieder ganz langsam im Ofen runtertemperiert werden.
J: Meine Tage sind so individuell wie möglich. Von stupider Laptoparbeit über Fotoshootings bis zur Dekoration unserer Ladenfläche. Am liebsten schaue ich morgens aber gemeinsam mit Lisa in den Ofen.
"Wenn Leute mit unserem Schmuck in Kontakt waren, sollen sie ein bisschen von der Freude, der Magie und Nostalgie mit nach draußen nehmen."
Wie fühlt sich das an, wenn du an der Flamme arbeitest, Lisa?
L: Ich liebe die Beschaffenheit von Glas. In der Flamme entwickelt es eine amorphe Struktur, irgendwas zwischen flüssig und fest, mit Erdanziehungskraft. Im Vorhinein habe ich meist nur eine grobe Vorstellung vom fertigen Produkt. Im Feuer entsteht eine Interaktion zwischen mir und dem Material, und daraus geht das Schmuckstück hervor. Das ist ein verrücktes Gefühl.
Und welches Gefühl wollt ihr als Label nach außen tragen?
J: Wir versuchen, eine Welt zu schaffen, die gute Laune macht. Die Zeiten sind düster genug. Da ist es umso wichtiger, mit seiner Kunst ein wenig Leichtigkeit zu erzeugen.
L: Deshalb haben wir auch spielerische Elemente wie den Kandy-Automat in unserem Studio aufgenommen. Wenn Leute mit unserem Schmuck in Kontakt waren, wollen wir, dass sie ein bisschen von der Freude, der Magie und Nostalgie mit nach draußen nehmen.


Videoproduktion: moodmacher+
Fotos: moodmacher+, KITSCH KIOSK, Sleek Magazine, Omid Aghdami
Mehr erfahren: KITSCH KIOSK Glass Studio
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