Weitere Initiativen der Hamburg Kreativ Gesellschaft
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Weitere Initiativen der Hamburg Kreativ Gesellschaft

28 Buchstaben

Ein Designbüro auf einem Hausboot und ein Familienbetrieb mit einem starken Manifest: Die Streetwear Marke Habibi spielt mit der Ästhetik arabischer Buchstaben, um die Schrift zu destigmatisieren. Mit dem Design Zentrum spricht das kreative Duo hinter der Brand – Imad und Jess – über die gemeinsame Vision und den gestalterischen Weg dorthin. Meet the Designers!

Arabische Schrift, haushoch, weiß auf schwarzen Grund: Wer im Sommer 2023 mit dem Zug in den Hamburger Hauptbahnhof einrollte, konnte das 134 Quadratmeter große Plakat am Deichtorplatz kaum übersehen. Was bei der einen für Irritation und bei dem anderen für Neugier sorgte, lockte denjenigen, die der arabischen Sprache fähig sind, ein Schmunzeln ins Gesicht: "Bratkartoffel" stand dort in übergroßen Lettern geschrieben. Das kam unerwartet.
 
Deutsche Hausmannskost trifft auf eine Schrift, die hierzulande von vielen noch immer als fremd oder bedrohlich wahrgenommen wird. Hinter dem Spiel mit Vorurteilen und Erwartungen steckte das Modelabel Habibi, das die Kampagne für Toleranz und kulturelle Vielfalt gemeinsam mit Fritz Kola auf die Straße gebracht hat.
 
Apropos Straße: Habibi steht vor allem für Streetwear, die – wie das Plakat – mit der Ästhetik der 28 Buchstaben des arabischen Alphabets spielt. Imad und Jess, die kreativen Köpfe des Labels, möchten die Menschen nicht nur in gutaussehende Hoodies und Shirts kleiden, sondern gleichzeitig eine Schriftkultur positiv besetzen, die vielen Menschen viel bedeutet. Denn Habibi (حبيبي) bedeutet Sweetheart.
 
Wir treffen Imad und Jess an einem Ort, der auf jedem Quadratzentimeter Kreativität versprüht: Ein kantiges Hausboot mit schimmernder Metallfassade, das als schwimmendes Studio zum Schaffensort einer Gruppe von Künstler*innen und Kreativen geworden ist. Ein schöpferischer Hotspot auf zwei minimal schaukelnden Etagen voller Kunst und Design-Klassikern zwischen den Schreibtischen. Hier auf dem Eilbekkanal erfahren wir mehr über die Entstehung des Modelabel und die kreativen Prozesse des dahinterstehenden Duos.

Imad und Jess, für eure Brand habt ihr ein Manifest geschrieben. Warum?

Imad: Unser Ziel ist es, arabische Schrift zu destigmatisieren. Die Schrift darf nicht nur mit negativen Medienschlagzeilen in Verbindung gebracht werden. Es steckt eine vielfältige Geschichte dahinter, eine ganze Kultur und Artists, die damit arbeiten. Mit Habibi wollen wir arabische Schrift so normal machen, dass wir nicht mehr über diese Message reden müssen. Das steht im Manifest. Als Streetwear Brand wollen wir das schaffen, indem wir die Buchstaben in Designs auf Textil bringen.

Jess: Um etwas in die deutsche Popkultur zu integrieren, ist Mode eins der einfachsten Medien. Auf unser Ziel arbeiten wir aber auch hin, indem wir mit Menschen und Kollektiven mit ähnlichen Visonen kollaborieren.

Wie entstand diese Vision?

I: Die Entstehung von Habibi war eigentlich eine Reaktion auf persönliche Erfahrungen. 2016 habe ich meinem besten Freund einen mit „habibi“ bestickten Hoodie geschenkt. Das bedeutet sowas wie Freund, Schatz, Liebling, Sweetheart. Er bekam darauf allerdings echt harte Kommentare – ob er jetzt falsche Freunde habe, ein Extremist oder ISIS beigetreten sei. Und meine Reaktion war: Krass, daran muss ich etwas machen.

"Wenn du Habibi trägst, kannst du damit etwas aussagen, ohne es aussprechen zu müssen."

Aus einem Hoodie ist jetzt ein ganzes Streetwear Label geworden. Haben sich die Reaktionen von Außenstehenden verändert?

J: Aus unserer Community bekommen wir tatsächlich viele positive Geschichten zugeschickt, auch von Freundschaften, die aus Gesprächen über Habibi-Shirts entstanden. Es ist voll schön, dass wir Leute auf einer anderen Ebene zusammenbringen können, als es zum Beispiel mit einem Nike Logo möglich ist.

I: Eine für viele hier eher unbekannte Schrift zieht eben auch an. Leute, die die Schrift sehen, fragen sich, was da wohl steht. Selbst wenn jemand negativ reagiert, ist das eine Gelegenheit zum Dialog.

Versteht ihr euch als politische Brand?

I: Jeder Mensch möchte mit seiner Kleidungswahl etwas ausdrücken, wenn auch manchmal unbewusst. So ist es auch mit Habibi. Wenn du die Sachen trägst, kannst du damit etwas aussagen, ohne es aussprechen zu müssen.

J: Natürlich machen wir mit unserem Manifest bestimmte politische Aussagen. Uns ist aber wichtig, dass man als Brand auf ganz viele verschiedene Arten aktivistisch sein kann. Manchmal ist es der richtige Weg, auf die Straße zu gehen, manchmal ist es aber auch schon aktivistisch, einfach zu existieren.

Wie kam eure Zusammenarbeit zustande?

I: Nach einer Ausbildung und vielen Praktika bin ich an die Miami Ad School in Hamburg gegangen, um mich zum Art Director ausbilden zu lassen. Habibi hat sich in dieser Zeit als Side Business entwickelt.

J: Bei der Miami Ad School bin ich nach mehreren Stationen dann auch gelandet. Dort haben wir uns kennengelernt. Ende 2019 standen wir vor unserem Abschluss – und der Entscheidung, ob wir uns selbstständig machen. Jetzt sind wir schon seit mehr als fünf Jahren ein Paar und ein kreatives Team. Wir haben uns für Habibi entschieden und ich würde es immer wieder so machen.

War es eine bewusste Entscheidung, dafür in Hamburg zu bleiben?

J: Wir haben das große Glück, von Leuten mit ähnlicher Energie und ähnlichem Drive umgeben zu sein. Unser Netzwerk war auf jeden Fall ein Grund, weshalb wir uns für Hamburg entschieden haben.

I: Nach meinem Gefühl haben sich Hamburger Kreative früher oft in einem Erklärungszwang gegenüber anderen Städten wie Berlin gesehen, was sich aber jetzt verändert. Es gibt inzwischen viele, die bewusst sagen: Wir bleiben hier und wollen die Hamburger Kreativbranche noch größer machen.

Würdet ihr euch als kreative Einheit bezeichnen?

J: Es klingt kitschig, aber wir könnten problemlos in einem dunklen Raum ein Ikea-Regal zusammenbauen, ohne zu reden. Wir verstehen einander extrem gut und es ist kein Ego im Spiel, wenn wir uns Ideen pitchen oder Feedback geben.

I: Unsere gemeinsame kreative Vision ist einfach sehr stark, sodass wir unsere Stärken beide sehr gut einbringen können.

Mit Habibi habt ihr also einen Space gefunden, in dem ihr euch gemeinsam austoben könnt.

J: Das ist eine Freiheit, die wir beide sehr schätzen. Wenn ich was machen will, muss ich nur zu seinem Schreibtisch rüberlaufen.

I: Theoretisch könnten wir vormittags ein Design erstellen, es mittags freigeben und in die Produktion schicken, am nächsten Tag das Textil veredeln und fotografieren, und am dritten Tag könnte es online sein. Unsere Infrastruktur mit eigenem Maschinenpark macht sowas möglich.

Wie genau ist euer Betrieb aufgebaut?

I: Wir sind ein Familienbetrieb und produzieren in Norddeutschland. Dort haben wir quasi alle Maschinen, die wir zum Veredeln von Textilien brauchen. Heißpressen, Druckmaschinen, UV-Drucker, Digitaldrucker. Mittlerweile sind wir fünf Leute. Und mein Vater ist der Joker, der im Grunde jedes Design approved.

J: Uns ermöglicht diese Produktionsstruktur auch, aktiv Prototypen zu testen und in den Designprozess einzubeziehen. Bei einem externen Produzenten sitzt du sonst plötzlich mit 500 Hoodies da, auf denen ein Design ist, was du eigentlich gerne nochmal ändern würdest.

Überproduktion ist bei anderen Playern in der Branche ja ein echtes Problem. Ist es euch wichtig, da etwas anders zu machen?

J: Bei Habibi bestellte Kleidung produzieren wir on-demand, wir haben kein großes Lager. Nahezu alle Produkte sind außerdem aus Biobaumwolle. Uns ist aber wichtig, diese Schritte nicht an die große Glocke zu hängen, weil viele Modemarken Nachhaltigkeit einfach als selling point sehen. Bei uns steht die Message im Vordergrund, aber im Hintergrund versuchen wir so viele Schritte wie möglich zu gehen, um nachhaltig zu sein.

Woher kommt für euch im Alltag Inspiration?

J: Da gibt es kein einfaches Rezept. Ich könnte an eine weiße Wand starren oder in einem Museum stehen. Dann kommt ein Gefühl und man darf nicht zu fest zudrücken, wie wenn man Sand hält. Ab und zu kommt es auch einfach nicht, für viel zu lange. Wir sind alle mit einer spezifischen Vorstellung davon aufgewachsen, wie Kreativität zu funktionieren hat, die oft aber gar nicht stimmt.

"Als Kreativer ist es wichtig zu wissen, wie man die vorhandenen Inspirationen zusammenfügen, umwandeln und mit neuen Ideen kombinieren kann."

I: Inspiriert werden bedeutet, mit offenen Augen durch die Gegend zu gehen. Viele Sachen sind bereits draußen und als Kreativer ist es wichtig zu wissen, wie man die vorhandenen Inspirationen zusammenfügen, umwandeln und mit neuen Ideen kombinieren kann. Mein Vater, der Künstler ist, hat früher zu mir gesagt: Um einen Apfel zu malen, müsse ich ihn nicht nur ansehen, sondern auch riechen, ihn pflücken, essen und verdauen. So ist es für mich mit der Kreativität. Wenn ich mich mit etwas beschäftige, muss ich es aus allen Blickwinkeln sehen und fühlen, um es zu verstehen und nach außen tragen zu können.

Was vermutlich auch sehr anstrengend sein kann.

I: Wenn man sich das Endresultat anschaut, ist es oft „nur“ eine einfache Grafik oder Schrift. Niemand weiß, dass wir vielleicht 16 verschiedene Typos verwendet haben in 20 verschiedenen Farben, Stilen und Positionen. Der Prozess ist mühselig und erschöpfend, aber man muss sich da wirklich durchbeißen. Ich kenne kein einziges Design, bei dem die erste Idee unbearbeitet auf einem Kleidungsstück gelandet ist.

 

Videoproduktion: moodmacher+

Fotos: moodmacher+ und Habibi

Mehr erfahren: Habibi

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